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© pexels | Barthy Bonhomme

Deindustrialisierung

Zwischen Fakt und Fiktion

Mit dem Bedeutungsverlust der Industrie in reichen westlichen Gesellschaften werden weitreichende Befürchtun­gen und Hoffnungen verbunden. Dies hat Vorhersagen eines bevorstehenden Wandels zur Dienstleistungsgesell­schaft immer wieder zum Gegenstand politischer Konflikte werden lassen. Timur Ergen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) untersucht im Rahmen seines Forschungsprojektes die Deindustrialisierung in komparativer Perspektive. […]

Mit der Deindustrialisierung – dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutungsverlust der fertigenden Industrie – werden in den Sozialwissenschaften zahlreiche gesellschaftliche Probleme im frühen 21. Jahrhundert in Verbindung gebracht – unter anderem der mehrheitsfähige Rechtspopulismus in England und den USA, sich verschärfende interregionale Unterschiede, wachsende Einkommensungleichheiten, sinkende Produktivitätsentwicklung und politische Blockaden in der Klimapolitik. […]

Bevor er seit 2008 zunehmend als Geißel der reichen Demokratien Europas und Nordamerikas beschrieben wurde, war der wirtschaftliche Strukturwandel durchaus positiv besetzt – eine Art postkapitalistische Utopie. Historisch ist die Theorie vom quasispontanen Strukturwandel von der manuellen Feldarbeit über den Karosseriebau zur Softwareprogrammierung geprägt von einem aus heutiger Sicht schlicht naiven Fortschrittsglauben. […]

Das Wechselspiel, in dem Interpretationen tatsächlicher Erfahrungen, wissenschaftliche Beobachtungen und politisch-ökonomische Konflikte um die Bestimmung der postindustriellen Gesellschaft ringen, ist typisch für den Umgang demokratisch-kapitalistischer Gesellschaften mit ihrer Zukunft. Wissenschaftliche Kritik an der Theorie sektoralen Wandels existiert zuhauf. […]

Seit den späten 1990er-Jahren ist es in den Sozialwissenschaften üblich, Deindustrialisierung als langsamen, aber stetigen relativen Bedeutungsverlust der Fertigung in der Beschäftigungs- und Wertschöpfungsstruktur anzuerkennen, der in der OECD zu großen Teilen auf Produktivitätssteigerungen in der Güterproduktion zurückgeht. Dieser Interpretation zufolge verkennen viele der besorgten Diagnosen eines Niedergangs der Fertigungsindustrie in reichen Ländern die Realität. […]

Vollständige Quelle: MPIfG PDF